3. Die Organisation der Wahl
3.1 Gründe für die Repräsentation der Internetnutzer
Bereits im „White Paper“ des US-Handelsministeriums, das ja schließlich der Anlass für die Gründung der ICANN war, findet sich, wenn auch nicht weiter ausgeführt, die Forderung nach einer Berücksichtigung der Interessen der Benutzer des Internet neben den eher kommerziell geprägten Unterstützungsorganisationen (vgl. United States Department of Commerce 1998a).
Auch in Artikel II Absatz C des „Memorandum of Understanding“, einem Vertrag, der die Zusammenarbeit zwischen dem US-Handelsministerium und der ICANN regelt, wird die ICANN zu dem Entwurf und der Entwicklung geeigneter Mitbestimmungsmechanismen, die die globale und funktionale Verschiedenheit und, vor allen Dingen, seine Benutzerschaft repräsentieren, verpflichtet (vgl. United States Department of Commerce 1998b).
Ähnlich verhält es sich mit Artikel 4 der Gründungsurkunde der ICANN, der vorsieht, dass die ICANN zu Wohle der Gemeinschaft Internet in ihrer Gesamtheit handeln und ihre Interessen repräsentieren soll. Wegen der Masse der Nutzer des Internet, die nicht durch eine der Unterstützungsorganisationen repräsentiert werden, bedingt das eine weitere repräsentative Instanz in der Struktur der ICANN (vgl. ICANN 1998).
Beide Formulierungen enthalten jedoch weder konkreten Aussagen darüber in welcher Form die Mitbestimmung letztendlich realisiert werden soll, noch welche Rolle die Repräsentanten der At-Large Gemeinschaft in der ICANN übernehmen sollen. Die Frage, ob z.B. die Repräsentanten nun direkt oder indirekt gewählt werden sollen, bleibt genauso wie die Definition der Benutzer des Internet, also ob damit Domaininhaber oder doch nur einfach Besitzer eine E-Mailadresse gemeint sind, offen. Trotzdem war es schon bei der Gründung der ICANN die feste Absicht des Direktoriums, die zunächst eingesetzten neun At-Large Direktoren später durch gewählte Vertreter zu ersetzen bzw. zunächst Verfahren zu deren Bestimmung zu erproben.
3.2 Das MAC
In Vorbereitung auf eine spätere Wahl zur Bestimmung der At-Large Direktoren wurde im Jahre 1999 von der ICANN eine temporäre Gutachterkommission, das MAC (Membership Advisory Committee) gegründet. Es wurde noch im selben Jahr wieder aufgelöst, nachdem es seine einzige Aufgabe, nämlich dem Direktorium eine Empfehlung bezüglich der Durchführung der Wahl auszusprechen, erfüllt hatte. Das MAC hat diese Empfehlung, auch unter der Berücksichtigung von Vorschlägen aus einer, speziell für diesen Zweck eingerichteten Mailingliste, am 26. Mai 1999 auf einer Konferenz der ICANN in Berlin veröffentlicht. Darin sprach sich die Kommission dafür aus, allen einzelnen Personen (nicht aber Organisationen, Verbänden und anderen), egal, ob sie Domaininhaber sind oder nicht, zur Wahl zuzulassen. Weiterhin wurde empfohlen, die Wahl und den dazugehörigen Registrierungsvorgang für die Wähler kostenlos umzusetzen, die Wahl online im Internet durchzuführen, als Kriterien für die Wähler nur die Angabe von Namen, Adresse, E-Mailadresse und ein Mindestalter von 16 Jahren festzusetzen und zur Vermeidung von Wahlbetrug einen Weg zu finden, diese Daten zu überprüfen. Das MAC schlug ebenfalls vor, Personen der At-Large Gemeinschaft auch die Möglichkeit einer eigenen Kandidatur einzuräumen, die Welt in fünf verschiedene Regionen einzuteilen, in jeder Region unabhängig einen Repräsentanten in das Direktorium wählen zu lassen und zur Durchführung der Wahl zwei Ausschüsse, einen zur Nominierung von Kandidaten und einen anderen zur Realisierung der Wahl, zu bilden (vgl. ICANN 1999a ; Berkman Center 2000a).
3.3 Die MITF
Auf den Zusammentreffen der ICANN im August und September desselben Jahres wurde zur weiteren Vorbereitung auf die Wahl die MITF (Membership Implementation Task Force) gegründet. Die MITF ist eine Gruppe, die hauptsächlich aus freiwilligen Helfern bestand, die die Einbeziehung und Integration der At-Large Gemeinschaft in die ICANN vorantreiben sollte und dabei bei der Entwicklung von Konzepten zur Wahl, der mit der Wahl verbundenen Registrierung und Authentifizierung von Wählern, der Kontrolle der Wahl und der Entwicklung von Finanzierungskonzepten mithalf (vgl. ICANN 1999d).
3.4 Die Kairo-Konferenz
Die wichtigsten Entscheidungen bezüglich der endgültigen Art der Durchführung der Wahl und der Festsetzung des Terminplans wurden im März 2000 auf der Konferenz der ICANN in Kairo getroffen. Zu dieser Konferenz hatten die beiden einflussreichen amerikanischen Bürgerrechtsorganisationen Center for Democracy and Technology und Common Cause der ICANN die Ergebnisse einer von der Markle Stiftung finanzierte Studie über eine weltweite At-Large Wahl vorgelegt. In dieser Studie wurde unter anderem vorgeschlagen, die At-Large Direktoren direkt, und nicht, wie bisher innerhalb der ICANN überlegt worden war, über Wahlmänner, ein sogenanntes At-Large Council, wählen zu lassen und einer fairen und z.B. durch Informationskampagnen gut vorbereiteten Wahl gegenüber dem bisher festgesetzten Terminplan den Vorzug zu geben. Das Direktorium reagierte hier auf den Vorschlag und den entstandenen öffentlichen Druck, indem es beschloss direkte Wahlen durchzuführen, es war jedoch nicht bereit den Terminplan abzuändern (vgl. Center for Democracy and Technology 2000 ; Ermert 2000a).
Mit der auf der Konferenz beschlossenen Konzeption wurde Artikel II der Statuten der ICANN, der die Mitgliedschaft in der ICANN definiert, zu seiner zu diesem Zeitpunkt immer noch gültigen Form verändert. Darin ist die Wahl von zunächst fünf Direktoren vor dem 1. November 2000 vorgesehen, das Ende ihrer Amtszeit ist auf das Jahrestreffen 2002 festgesetzt. Um eine internationale Repräsentativität zu gewährleisten, soll, wie bereits vom MAC vorgeschlagen, jeder Direktor aus einer anderen geographischen Region stammen. Die Amtszeit der vier Interimsdirektoren wurde um zwei Jahre, ebenfalls bis zum Jahrestreffen 2002 verlängert. Des weiteren sieht Artikel II eine umfassende Studie nach dem Jahrestreffen 2000 über die zukünftige Rolle einer Vertretung der At-Large Gemeinschaft in der ICANN vor. Diese Studie soll unter anderem klären, ob im Direktorium überhaupt, und wenn ja, wie viele At-Large Repräsentanten im Direktorium vertreten sein sollten. Weiterhin soll ein angemessenes Verfahren zu deren Bestimmung gefunden werden, d.h. es ist zu klären, ob sie vom Direktorium aufgestellt werden oder stattdessen von der At-Large Mitgliedschaft gewählt werden sollten oder ob beide Verfahren kombiniert werden sollten. Schließlich soll die Studie auch noch die geeignete Struktur, Rolle und Funktion der At-Large Vertretung in der ICANN vorschlagen. Die Ergebnisse sollen spätestens zum Jahrestreffen 2001 vorliegen und der ICANN als Entscheidungsgrundlage über die Zukunft der At-Large Vertretung in der ICANN dienen (vgl. ICANN 2000b).
3.5 Die Vorbereitung der Wahl
Als Grundvoraussetzung für eine Wahlberechtigung wurden einfach die Vorschläge, die das MAC gemacht hatte, übernommen. Alle Personen, die diese Kriterien erfüllten, konnten sich auf einer, von der ICANN betriebenen Website mit Namen, Adresse, E-Mailadresse, sowie einigen optionalen, statistischen Angaben zur Person eintragen. Daraufhin wurden ihnen eine Mitgliedsnummer und ein Passwort per E-Mail übermittelt und zur Überprüfung der Adresse per Post eine PIN (Persönliche Identifikationsnummer) zugesandt. Eine Person galt erst dann vollständig registriert bzw. wahlberechtigt, wenn ihre Mitgliedschaft auf der At-Large Website mit der PIN noch einmal bestätigte. Mit diesem doppelten Registrierungsverfahren wollte man Wahlbetrug durch mehrfache Stimmabgaben verhindern. Sowohl die Wahl, also auch der Registriervorgang waren gemäß den Empfehlungen des MAC und der CDT /Common Cause Studie für die potentiellen Wähler kostenlos (vgl. Ahlert 2000a). Diese eben genannte Registrierungswebsite, die auch Informationen für die At-Large Gemeinschaft enthielt, war bereits vor der Kairo-Konferenz, am 22. Februar 2000 eingerichtet worden (vgl. ICANN 2000f). Die Mindestvoraussetzung für diese Wahl war auf 5000 registrierte Personen festgesetzt worden (vgl. ICANN 1999e), diese Zahl ist jedoch schon Anfang März während der Kairo-Konferenz überschritten worden (vgl. Ermert 2000b).
Ungefähr einen Monat nach den Beschlüssen in Kairo hat die ICANN zur Durchführung der Wahl, gemäß der Empfehlung des MAC, zwei Ausschüsse gebildet. Zum einen wurde ein Wahlausschuss (Election Committee), der die Aufgabe hatte, allgemein eine reibungslose Wahl zu garantieren, die Wähler zu informieren, Regelungen zu entwickeln, um Einwände der Öffentlichkeit zu berücksichtigen, einen externen Anbieter mit der Durchführung der Abstimmung zu beauftragen und den Wahlvorgang zu beaufsichtigen und zum anderen der Nominierungsausschuss (Nominating Committee), der, auch unter Berücksichtigung öffentlicher Stimmen, geeignete Kandidaten für die verschiedenen Regionen finden und aufstellen sollte, gebildet (vgl. ICANN 2000c).
Die Kandidaten wurden dabei nach Kriterien, wie „Reputation für Integrität und harte Arbeit“, „Erfahrung mit der Architektur des Netzes“ oder „spezifische Erfahrungen mit Domainnamen und IP-Adressen“ ausgewählt (vgl. Ahlert 2000a). Weiterhin bestand für die At-Large Gemeinschaft die Möglichkeit eigene, sogenannte „selbstnominierte“ Kandidaten aufzustellen. Dazu mussten sich potentielle Kandidaten bei der ICANN bewerben und in einer Vorwahl die Unterstützung von mindestens 2% der registrierten Wähler aus mindestens zwei verschiedenen Ländern der betreffenden Region erhalten. Bei der Selbstnominierung gab es allerdings die Einschränkung, dass pro Region insgesamt, zusammen mit den vom Nominierungsausschuss nominierte Kandidaten, nur sieben Kandidaten aufgestellt werden konnten (vgl. ICANN 2000c).
3.6 Das Wahlsystem
Am 8. Juli wurden dann auf Empfehlung des Wahlausschusses die endgültigen Regelungen für die Wahl festgelegt. Es wurde beschlossen bei der Wahl im Oktober das sogenannte Vorzugsvoting-system zu benutzen. Bei diesem Wahlsystem müssen eine beliebige Zahl von Kandidaten der jeweiligen Region von den Wählern nach Präferenz bewertet werden und in eine Reihenfolge von eins, für den beliebtesten Kandidaten, bis maximal sieben, für den unbeliebtesten Kandidaten, gebracht werden. Wenn ein Kandidat nich auf Anhieb die absolute Mehrheit erreicht, wird „der Letztplatzierte eliminiert und seine Stimmen auf die in den Wählerlisten jeweils Zweitplatzierten verteilt. Das geht so weiter, bis endlich einer der Kandidaten die absolute Mehrheit hat“ (vgl. Hack 2000). Durch dieses Verfahren sollte die Wahl, nach Meinung des Wahlausschusses, repräsentativer werden. Des weiteren übernahm die ICANN die Empfehlung des Wahlausschusses, jedem Kandidaten eine Homepage mit Informationen, auf der Basis eines Fragebogens, der von jedem beantwortet werden musste, einzurichten. In einem wöchentlichen Newsletter wurden diese Informationen auch noch einmal per E-Mail an alle registrierten Wähler verschickt. Da die E-Mailadressen der Wählerschaft von der ICANN geheimgehalten wurden, um diese möglicherweise vor ungewollter E-Mail-Werbung der Kandidaten zu schützen, wurde, um die Kommunikation der Wähler mit ihren Kandidaten zu unterstützen, für die Kandidaten ein Frage-Antwort-Forum eingerichtet, in dem es möglich war einen direkten Dialog zu führen (vgl. ICANN 2000m ; ICANN 2000a).
Am 21. Oktober hat das Direktorium dann den Beschluss gefasst, das Unternehmen election.com mit der Durchführung der Abstimmung zu beauftragen. election.com ist eine amerikanische Firma, die sich auf Internetwahlen spezialisiert hat und dann eine rund um die Uhr verfügbare Website zur Abstimmung, mit verschlüsselter Datenübertragung in verschiedenen Sprachen einrichtete (vgl. ICANN 2000e).
3.7 Die Finanzierung der Wahl
Die At-Large Wahl wurde ausschließlich durch Spenden finanziert und konnte so für die Wähler kostenlos durchgeführt werden. Die Kosten für die Durchführung beliefen sich für die ICANN laut eigener Angaben auf rund $200000. Das Geld wurde hauptsächlich für die Personalkosten, die für die Einstellung eines Koordinators anfielen, Rechner- und Netzwerkkapazitäten für die Bewerbungs- und Registrierdatenbanken, administrative und logistische Ausgaben und der Bereitstellung eines mehrsprachigen Informationsangebotes verwendet (vgl. ICANN 1999c). Auf eine Anfrage der ICANN an die Markle Stiftung im Oktober 1999 nach einer Spende, sagte diese zu, die Finanzierung zu übernehmen. Insgesamt hat die Markle Stiftung für Zwecke, die mit der Wahl zusammenhängen, über $1000000 ausgegeben, dies beinhaltet die $200000, die an die ICANN gezahlt wurden, sowie Gelder, um externe Organisationen und Initiativen ebenfalls zu unterstützen (vgl. Markle Foundation 2000). Aber auch andere gemeinnützige Organisationen haben bei der At-Large Wahl Engagement, z.B. durch Beratung und Informationskampagnen, wie beispielsweise das Carter Center, Common Cause, CDT, das Berkmann Center for Internet and the Society, sowie auch die Bertelsmann Stiftung und die Mitglieder der europäischen „I Can! eLection 2000“-Initiative, gezeigt (vgl. Ahlert 1999).