2. Grundsätzliches zur ICANN
2.1 Das DNS
Das Rückgrat des heutigen Internet bildet das DNS (Domain Name System). Jeder an das Internet angeschlossene Rechner besitzt eine eindeutige IP-Adresse, mit deren Hilfe jeder mit dem Internet verbundene Rechner identifiziert werden und so mit anderen Rechnern kommunizieren kann. Da die 32 Bit langen IP-Adressen nicht besonders einprägsam sind, werden sie Domainnamen zugeordnet, oft werden die Domains noch weiter in Subdomains unterteilt, beispielsweise wird die IP-Adresse 193.99.144.71 über das DNS dem Rechner www der Domain heise.de zugeordnet. Die Umwandlung der IP-Adresse in einen Domainnamen, oder umgekehrt, ist die Aufgabe von unzähligen, weltweit verteilten DNS-Servern. Diese Server sind hierarchisch angeordnet, so dass ein DNS-Server, wenn er eine IP-Adresse bzw. einen Domainnamen nicht auflösen kann, die Anfrage an den nächsthöheren DNS-Server weiterleitet. An der Spitze dieser Hierarchie steht das sogenannte A-Rootserversystem, von dem alle ihm untergeordneten DNS-Server ihre Daten beziehen. Im Moment kontrolliert die US-Regierung das A-Rootserversystem, administriert wird es von der ICANN. Die Entscheidung, wo es steht und wer es kontrolliert basiert jedoch auf einem weltweiten Konsens der DNS-Serverbetreiber, es wäre theoretisch möglich ein neues A-Rootserversystem zu etablieren, wenn sich alle Betreiber einigen würden ihre DNS-Server auf das neue System auszurichten (vgl. ICANN Channel o.J. b).
Die eigentlichen Domainnamen sind auf eine bestimmt Art gruppiert und folgen ebenfalls einer bestimmten Hierarchie. Die einzelnen Teile eines Domainnamens werden durch Punkte voneinander getrennt und werden von rechts nach links gelesen. Als erstes kommt ganz rechts die sogenannte TLD (Top Level Domain), hierbei unterscheidet man grundsätzlich zwischen den generischen gTLDs (generic Top Level Domains) wie z.B. .com, .net oder .org, die unter die Hoheit der ICANN fallen, und den länderspezifischen ccTLDs (country code Top Level Domains) wie z.B. .de, .uk, .us, für die jeweils eine länderspezifische Verwaltungsinstitution zuständig ist. Der darauffolgende Teil der Domain ist der eigentliche, frei wählbare Name der Domain, der von einem von der ICANN akkreditierten Registrar eingerichtet werden kann. Alle eventuell folgenden Teile der Domain, die Subdomains, lassen sich von dem Inhaber je nach belieben einrichten. Beispielsweise kann man aus www.heise.de ableiten, dass die ccTLD „.de“ ist, daher unter die Hoheit der deutschen Domainverwaltungsinstitution fällt, der eigentliche Name der Domain „heise“ ist und diese Domain eine vom Inhaber eingerichtete Subdomain namens „www“ hat (vgl. ICANN Channel o.J. b).
2.2 Formale Definition der ICANN
Die ICANN ist nach eigener Angabe eine gemeinnützige Gesellschaft nach kalifornischem Recht, mit dem Hauptsitz in Marina del Rey, Kalifornien, die als technische Koordinierungsstelle des Internet Aufgaben übernommen hat und noch übernehmen soll, die bisher von der US-Regierung durch die IANA (Internet Assigned Numbers Authority) und andere Organisationen und Unternehmen wahrgenommen wurden.
Die ICANN widmet sich der Aufrechterhaltung eines reibungsfreien Internetbetriebs durch die Verwaltung von Domainnamen, die Verwaltung von IP-Adressen bzw. Adressbereichen und die Entwicklung und Standardisierung von den zur Kommunikation nötigen Protokollen, Protokollparametern und Portnummern, sowie zukünftig der Verwaltung des A-Rootserversystems (vgl. ICANN o.J. a).
2.3 Die Gründung
Die Gründung der ICANN geht auf eine Initiative der US-Regierung bzw. des US-Handelsministeriums im Juni 1998 zurück, als das „White Paper“ veröffentlicht wurde. In diesem Dokument kündigte das Ministerium den Rückzug aus der Verwaltung des Internet an.
Es wurden in diesem Zusammenhang vier Prinzipien genannt:
- der behutsamen Übergang in ein neues DNS-Verwaltungssystem, bei dem die Stabilität absolute Priorität hat,
- Wettbewerb, durch den die Kosten bei der Verwaltung des Internet gesenkt werden sollen, Innovationen vorangetrieben und die Wahlmöglichkeiten und Zufriedenheit bei den Endnutzern verbessert werden sollen,
- eine private „von-unten-nach-oben-Verwaltung“, die flexibler auf die rapiden Veränderungen des Internet reagieren und die Prinzipien auf denen das Internet entstand, besser wiedergeben soll,
- Repräsentation, die Einbeziehung der Internetgemeinschaft in ihrer Gesamtheit bei Entscheidungen bezüglich des DNS, so dass die funktionale und geographische Verschiedenheit des Internet und seiner Benutzer besser wiedergegeben wird und eine internationale Beteiligung gesichert wird (vgl. Berkman Center 2000c).
Noch im November desselben Jahres wurde als Folge dieser Initiative die ICANN als gemeinnützige Gesellschaft nach kalifornischem Recht gegründet. Sie ist damit der kalifornische Rechtssprechung und damit der Kontrolle durch den kalifornischen Generalstaatsanwalt unterworfen und hat als gemeinnützige Gesellschaft keine Aktionäre. Die Statuten folgen dabei weitesgehend den Prinzipien, die das „White Paper“ beschreibt (vgl. ICANN Channel o.J. a).
Kurz nach der Gründung wurde dann zwischen der ICANN und dem US-Handelsministerium mit dem „Memorandum of Understanding“ ein Vertrag geschlossen, mit dem die im „White Paper“ geäußerten Absichten stufenweise verwirklicht werden sollen. Das „Memorandum of Understanding“ umschreibt ein Entwicklungsprogramm, um Mechanismen für die private Verwaltung des Internet zu realisieren und letztendlich auch die Hoheit über das A-Rootserversystem abzugeben (vgl. Berkman Center 2000a). Dieses umfasst die Einführung von Wettbewerb bei der Registrierung von Domainnamen, die Erstellung eines Konzeptes zur weiteren Verwaltung des Rootserversystems und der Einführung neuer gTLD s, die Entwicklung eines Prozesses, der es den beteiligten Interessenvertretern erlaubt, bei Entscheidungen über die technische Verwaltung des Internet mitzuwirken, das Erstellen von Mechanismen, die eine Mitgliedschaft in der Organisation ermöglichen, um so die globale und funktionale Verschiedenheit des Internet und seiner Benutzerschaft besser zu repräsentieren und eine Empfehlung bezüglich der Eingriffsmöglichkeiten bei Konflikten zwischen Domain- und Markeninhabern zu machen (vgl. Berkman Center 2000b).
2.4 Die Zusammensetzung der ICANN
Abbildung 1: Organisationsstruktur der ICANN (ICANN 2000o)
Wie aus bereits Abbilung 1 ersichtlich wird, sind die Hauptbestandteile der ICANN zum einen das Direktorium, das als oberstes Gremium die Entscheidungsebene der ICANN darstellt, und zum anderen die drei Unterstützungsorganisationen, die ASO (Address Supporting Organization), die DNSO (Domain Name Supporting Organization) und die PSO (Protocol Supporting Organization). Laut den Statuten der ICANN muss das Direktorium 9 bis 18 Direktoren und einen Präsidenten umfassen, zur Zeit sind es 19 Direktoren, einschließlich eines Präsidenten, der von den übrigen Direktoren gewählt wurde.
Die Unterstützungsorganisationen sind für jeweils einen Fachbereich, der die ICANN und ihre Aufgaben betrifft, zuständig und übernehmen außer der jährlichen Entsendung von drei Direktoren für die ICANN auch noch eine Beraterfunktion auf ihrem Spezialgebiet (vgl. ICANN Channel o.J. b). Die übrigen neun Direktoren sollen die sogenannte At-Large Gemeinschaft repräsentieren, sie wurden bei der Gründung der ICANN zunächst eingesetzt und fünf von ihnen wurden im Rahmen der hier beschriebenen Wahl durch gewählte Vertreter ersetzt. Im Gegensatz zu den neun Direktoren, die durch die Unterstützungsorganisationen gestellt werden, ist ihre Anzahl und die Art, mit der sie bestimmt werden, und sogar ihre Existenz in den Statuten noch nicht endgültig festgelegt und von den Beschlüssen der ICANN auf der Basis der At-Large Studie in diesem Jahr abhängig (vgl. ICANN 2000b).
In den drei spezialisierten Unterstützungsorganisationen wurden verschiedene internationale Organisationen einer Fachrichtung zusammengefasst:
- Die DNSO, die die ICANN beim Betrieb des DNS assistiert und bei der Koordination und Zuweisung von Domainnamen berät und aus sieben Fachgruppen besteht. Dies sind die kommerziellen Internetbenutzer (Business), die nicht kommerziellen und nicht privaten Domaininhaber (Non Commercial), die Registrierstellen für länderspezifische Domains (ccTLD Registries), die Registrierstelle der regulären Domains (gTLD Registry), die Internetzugangsanbieter (ISPs), die Registrare (Registrars) und die Organisationen zum Schutz geistigen Eigentums (Intellectual Property).
- Die ASO (Address Supporting Organization), die für Angelegenheiten, die IP-Adressen betreffen, zuständig ist und drei Fachgruppen hat. Diese umfassen die amerikanisch-afrikanische ARIN (American Registry for Internet Numbers), die europäische RIPE NCC (Réseaux IP Européens Network Coordination Centre) und die asiatisch-pazifische IP-Registrierstelle APNIC (Asia Pacific Network Information Centre).
- Die PSO, deren Fachgebiet Protokolle und andere technische Standards zur Kommunikation über das Internet sind. Sie besteht aus vier Mitgliedern, der Organisation zur Standardisierung und Weiterentwicklung des Internet IETF (Internet Engineering Task Force), dem Konsortium zur Weiterentwicklung und Standardisierung des WWW (World Wide Web) W3C (World Wide Web Consortium), der Internationalen Koordinierungsstelle für Telekommunikationsstandards ITU-T (International Telecommunication Union Telecommunication Standardization Sector), und dem europäischen Institut für Telekommunikationsstandards ETSI (European Telecommunications Standards Institute)
2.5 Die Komitees
Neben den Unterstützungsorganisationen gibt es noch diverse Komitees. Zwei davon sind in den Statuten der ICANN festgelegt, zum einen das GAC (Governmental Advisory Committee), das die Interessen nationaler Regierungen, sowie multinationaler Bündnisse vor der ICANN repräsentiert, und zum anderen das DNS Root Server Advisory Committee, das das Direktorium bei technischen Fragen bezüglich des Rootserversystems berät. Diese genannten Komitees gehören zur Kategorie der Advisory Committees, denen eine beratende Funktion zukommt. Neben ihnen gibt es noch die Committees of the Board, die nur aus Direktoren bestehen können und die vom Direktorium autorisiert sind, im Namen der ICANN zu handeln.
Das Direktorium trifft sich in unregelmäßigen Abständen zu öffentlichen Konferenzen an verschiedenen Orten der Welt, alle 10 bis 13 Monate findet die Jahreskonferenz statt. Um Beschlüsse zu fassen, ist keine Konferenz nötig und es reicht die einfache Mehrheit im Direktorium aus. Zum Hinzufügen von Direktoren zum Direktorium oder Änderung der Satzung ist eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich, ein Direktor kann nur mit einer Dreivirtel-Mehrheit abgesetzt werden. Eine Konferenz aus aktuellem Anlass kann kurzfristig durch den Präsidenten oder ein viertel der Direktoriumsmitglieder einberufen werden. Alle Mitglieder des Direktoriums arbeiten ehrenamtlich für die ICANN und dürfen nicht Mitglied einer Regierung sein (vgl. ICANN 2000b).
2.6 Kompetenzen der ICANN
Die Frage, welche Rolle die ICANN im Internet übernimmt, ist sehr umstritten. Während sich die ICANN selber auf ihrer Website als rein technische Verwaltungsinstitution darstellt, ist in den Medien oft von einer „Welt-Internetregierungi“ die Rede. Die tatsächliche Position der ICANN liegt zwischen diesen beiden Extrempunkten. Zu den Hauptaufgaben zählen, wie bereits gesagt, die Verwaltung des Rootserversystems, die Weiterentwicklung und Standardisierung der Kommunikationsformen, sowie die Verwaltung von Domainnamen. Die ICANN nimmt also sicherlich primär technische Verwaltungsaufgaben wahr, da aber das heutige Internet weitgehend vom DNS abhängig ist, können die technischen Entscheidungen der ICANN eine enorme politische Tragweite haben.
Einige Beispiele können diese Problematik illustrieren:
- Eine amerikanische Webseite gegen Abtreibungen führte eine Namensliste von Ärzten, die Abtreibungen durchführ(t)en, und hakte die Namen ab, wenn diese Ärzte ermordet worden waren. Eine andere Seite veröffentlichte die Namen angeblicher britischer Geheimagenten und gefährdete so deren Leben und, potenziell, auch die nationale britische Sicherheit. ICANN hat nun die Macht, solche Webseiten „auszuschalten“. Sollte sie das tun? Und wer sollte über ein solches Vorgehen entscheiden? Wie sollte ICANN Anonymität im Internet (ein wichtiges Element politischer Freiheit) und das Recht zu wissen, wer sich hinter einem Domain-Namen verbirgt, gegeneinander abwägen?
- Eine Webseite mit dem Namen MartinLutherKing.org hat sich darauf spezialisiert, den ehemaligen Bürgerrechtler systematisch niederzumachen. Was sollte hier nun zählen? Das Recht auf freie Meinungsäußerung, oder stellt der Fall eine Verletzung der Urheberrechte und vor allem des Andenkens an Martin Luther King dar?
- Hätte ICANN im Fall des unabhängigen Belgrader Radiosenders B92 eingreifen sollen, dessen Online-Identität – b92.net – von Slobodan Milosevic übernommen wurde, ohne dass der Sender sich dagegen zur Wehr setzen konnte?
In vielen Fällen haben sowohl Handeln als auch Nicht-Handeln gleichermaßen Konsequenzen (Hill 2000).
Auch die UDRP (Uniform Dispute Resolution Policy), eine Regelung der ICANN, die den Eingriff bei Konflikten zwischen Domain- und Markeninhabern, beschreibt die Einführung einer Abgabe für das Registrieren von Domains oder die schlichte Tatsache, dass die amerikanische Stanford Universität mehr IP-Adressen als ganz China besitzt, verdeutlichen, dass die Kompetenzen der ICANN, wenn auch nicht offensichtlich, über das technische Mandat hinausreichen (vgl. Ahlert 2000b). Besonders bei der Auswahl von den neu einzuführenden gTLDs gab es im letzten Jahr eine heftige Kontroverse, ob die ICANN hier nicht eine willkürliche, politische Entscheidung getroffen habe (vgl. Patalong 2001).
Da sich zur Zeit das A-Rootserversystem immer noch unter der Kontrolle der US-Regierung befindet und nur von der ICANN administriert wird, hat die US-Regierung auch die Möglichkeit einen gewissen Druck auf die ICANN auszuüben, was ja im Gegensatz zur eigentlich vorgesehenen Unabhängigkeit der ICANN steht. Weiter bleibt anzumerken, dass das politische Gewicht der ICANN stark wachsen wird, wenn ihr einmal, wie vorgesehen, die vollständige Kontrolle über das Rootserversystem übergeben wird.
2.7 Die Finanzierung
In der Gründungsphase hat sich die ICANN ausschließlich durch Spendengelder des US-Handelsministeriums und der Industrie finanziert und zwischen Oktober 1998 und Juni 1999 über $700000 eingenommen (vgl. ICANN 1999b). Heute finanziert sich die ICANN sowohl durch Spenden, als auch Gebühren. Alle Registrare für gTLDs müssen den Bedingungen des RAA zustimmen, das sie verpflichtet für jede registrierte Domain eine Abgabe an die ICANN zu zahlen (vgl. Berkman Center 2000a).